Mittwoch, 8. Dezember 2010

Superman ist tot! Aber die UA am Theater Heilbronn hat gerockt!

nachtkritik.de schreibt über die premiere

Das Glück ist die härteste Droge
von Harald Raab
Heilbronn, 11. November 2010. Es ist eine alte Geschichte - und doch ist sie immer wieder neu. Tragödie und Komödie in einem: Wie wird man erwachsen und sagt den Helden und damit den Allmachtsphantasien seiner Jugend ade? Werther, Karl Moor und Winnetou, Superman und Batman. Sie alle müssen sterben, damit ein selbständiges Individuum seinen Platz in der Gesellschaft finden kann. Und wehe, wenn das nicht gelingt.
Was dann passiert, ist in Holger Schobers neuem Stück zu besichtigen: "Superman ist tot", Uraufführung in den Kammerspielen des Theaters Heilbronn. Schober und der Regisseur Dominik Günther gelten als Dreamteam. Sie sind nun zum vierten Mal kongenial am Werk. Mit einigen Preisen ausgestattet und mit entsprechend hohen Erwartungshaltungen in der deutschen Theaterszene gehandelt, haben sie ihrem Ruf gerecht zu werden. Man denkt, wie werden sie das schaffen, bei diesem ausgelutschten Stoff: Junkie-Pärchens Selbstinszenierung zwischen psychedelischem Höhenrausch und Bruchlandung im physischen und seelischen Dreck.
Ganz unterschiedliche Scheinwelten
Es ist ja wirklich nichts Singuläres, dass die Selbstwerdung aus diesem oder jenem Grund nicht gelingt. Neu ist auch nicht die Flucht in Scheinwelten. Das hat die allein gelassene und sich nicht angenommen fühlende Jugend in allen Epochen getan, inklusive Rausch per Alkohol, Drogen oder sonst wie. Rückzug aus der Wirklichkeit, statt kaputt zu machen, was einen kaputt macht, das ist die Norm. Das Theater als Denk- und Übungsraum für das Erlernen des Lebens: Wie gelingt darin eine solche Story? Geht sie im larmoyanten Selbstmitleid, im großen Gestus der Anklage nebst Weltschmerz baden?
Um es vorweg zu sagen: Schober und Günther haben ein Rezept - und das ist so alt wie das Theater: Spannung, Tempo, Witz, Ironie und auch Mut zur Poesie. Statt vordergründigem Sozialgequatsche und kreuzbravem Erzähltheater eine Bühnenshow voll Power und Kurzweil, schrill bis zur Groteske. Mittendrin Momente plötzlicher Stille, Raum für die leisen Töne, für Nachdenklichkeit, für das Eindringliche.
Flucht ins Universum
Harter Action-Beat dröhnt aus den Lautsprecherboxen. Zehn himmelblaue dicke Turnmatten in permanent wechselnder Position als einzige Bühnenmöblierung (Ausstattung: Lars Betko). Superman und Batwoman toben in ihrer futuristischen Kostümierung durch den Raum: voll Stoff halsbrecherische Bodenakrobatik, Catch as catch can. In der Fantasy-World überwindet man selbstverständlich die Schwerkraft. Im Universum tragen das Gute und das Böse ihren Showdown aus. Im Zeitraffertempo geht es durch all diese Stories und den Personalbestand der stereotypen Bilderwelt der Heftchen und Filme. Mal Superman, mal Orgasmus-Man, mal Cybergirl, mal Madame Karambolage, Mal Waterboy, mal Lady Nocturna. Die ganze Kraftmeierei, die großen Gesten, die fiesen Fratzen und Grimassen der Comic-Kultur werden samt Sprechblasen-Schlichtdialogen durchexerziert. Die Regieleistung Dominik Günthers ist hier eine veritable Choreographie, intelligentes Bewegungstheater vom feinsten.

Superman ist tot, mit Susan Ihlenfeld und Sebastian Weiss © Thomas Frank / Fotostudio 42
Aufmoduliert sind auf diese bizarren Fieberkurven des Ausagierens infantiler Urinstinkte zwei weitere Geschichten: das Drama einer Drogenkarriere im Zweierpack und eine wunderbar zarte und gleichzeitig starke Liebesgeschichte, die zwischen Lisa und Karl. Auch hier kein erhobener Zeigefinger, keine Moral von der Geschicht' und auch keine Romeo-und-Julia-Zeilen.
Es ist ja so banal, in die "Drogenscheiße" zu gelangen. Karl hat schon alle Stationen der Sucht durchprobiert und ist auf Tilidin, dem neuen Superman-Stoff. Er kennt Tilidin von seiner Mutter, die an Krebs gestorben ist. Es macht schmerz- und angstfrei. Lisa hat mal so mitgemacht, in der Hoffnung, ihren Karl, ihren Superman erlösen zu können. Doch der weiß, was Lisa auch noch erfahren muss: Wenn man gegen sich selbst kämpft, kriegt man so oder so immer eine auf die Fresse. Karl entschwindet ins Nirwana. Superman ist wohl tot. Zurück bleibt Lisa mit einem Kind im Bauch. Ist die nächste Drogenkarriere vorprogrammiert?
Szenische Phantasie, überzeugende Realisierung
Susan Ihlenfeld und Sebastian Weiss bewältigen ausdrucksstark diese Höhen und Tiefen ihrer anspruchsvollen Rollen auf der Achterbahn des Lebens mit äußerster physischer und psychischer Kraft und sehr, sehr viel Einfühlungsvermögen. Sie sind Monster und zwei Kinder, die nach Liebe verlangen und durch die Hölle der Sucht gehen. Sie bringen überzeugend rüber, was ihnen der Autor Holger Schober als Botschaft mitgegeben hat und Karl sagt: "Glück ist die härteste Droge der Welt und ist verdammt schwer zu bekommen."
"Superman ist tot" hat das Zeug dazu, auf vielen deutschsprachigen Bühnen gespielt zu werden. Ob man es auf so hohem Niveau wie am Theater Heilbronn noch einmal erleben wird, das darf durchaus mit einem Fragezeichen versehen werden. Autor Holger Schober, Regisseur Dominik Günther, Susan Ihlenfeld als Lisa und Sebastian Weiss als Karl - ihnen ist dieser Erfolg geschuldet: dem starken und intelligentem Stück, dem stringenten Konzept des Regisseurs und seiner szenischen Phantasie und der überzeugenden Realisierung durch die beiden Akteure.
Superman ist tot (UA)von Holger SchoberRegie: Dominik Günther, Ausstattung: Lars Betko, Dramaturgie: Birte WernerMit: Susan Ihlenfeld, Sebastian Weiss.www.theater-heilbronn.de